Quelle: Queer.de
Trauer um Henri Vogel
Der aus der Filmdokumentation “Privileg” bekannte Berliner trans Aktivist Henri Vogel kam am 1. März bei einem tragischen Unfall ums Leben.
Henri Vogel, geboren 1983, outete sich 2015 als trans Mann (Bild: AlefCine Pictures)
Henri Vogel ist tot. Ich fand die Meldung zufällig und konnte es nicht fassen. Wie? Henri hatte mir doch erst vor gut zwei Wochen eine Mail geschrieben, und im Januar feierten wir noch im Zoo Palast die Premiere der Filmdokumentation “Privileg”, die von ihm und seinem Ehemann Johannes, seinem Trans-Sein, seinen Leidenschaften und Hobbys handelte – und jetzt soll er nicht mehr leben? Im Nachruf der Humboldt Universität Berlin, seiner Arbeitgeberin, ist die Rede von einem tragischen Unfall, der sich bereits am 1. März ereignet haben soll. Ein tragischer Unfall also, unfassbar. Was war da bloß geschehen?
Ich weiß nicht mehr genau, wann wir uns das erste Mal begegneten. Woran ich mich jedoch erinnere ist, dass Henri Anfang 2021 an mich herantrat, um mich zu einem digitalen Gespräch einzuladen, das den schönen Titel “Sternchenstunden” trug und eine Veranstaltungsreihe der SPDqueer war. Zusammen mit Mara Geri unterhielten wir uns über unser Trans-Sein, wie es gestern war und wie es heute ist. Bis vor einiger Zeit war das Video noch im Internet verfügbar. Ich habe es nicht mehr gefunden.
Danach kreuzten sich noch einige Male unsere Wege. Vor allem wurde mir die Ehre zuteil, von Henri eine Einladung zum “Berliner Zimmer” zu erhalten, einem queeren Salon, der in regelmäßigen Abständen in einer Privatwohnung stattfand und “künstler*innen, kreative und aktivist*innen für eine bessere welt, homo- und gender-propagandist*innen, unverbesserliche philantrop*innen und humanist*innen” zusammenbrachte, so stand es in der Einladung.
Ein Menschenfreund im wortwörtlichen Sinn
Ja, genau das ist auch das Profil, das eins zu eins zu Henri passt. Denn Henri war im wortwörtlichen Sinne ein Menschenfreund, und Offenheit war für ihn etwas Selbstverständliches. Dabei wirkte er meistens ernst, nachdenklich und in einem guten Sinne gesetzt – und trotzdem saß ihm manchmal der Schalk im Nacken. Er blickte dann ganz verschmitzt und lachte laut auf. Auch das war Henri.
Als in der AHA der Trans Day of Visibility (TDoV) im letzten Jahr mit einem zweitägigen Programm gefeiert wurde, durfte ich Henri einladen, um an unserem musikalisch-literarisch bunten Nachmittag mitzuwirken. Seine Zusage kam sofort, obwohl außer Ehre dabei nichts zu verdienen war. Er hatte einen Text mitgebracht, der für den TDoV die richtige Botschaft enthielt: Dass es verdammt wichtig ist, dass wir uns selbst so anerkennen, wie wir sind, und dass wir so, wie wir sind, vor allem richtig sind. Und dass es nicht darum geht, was andere über uns denken und sagen.
Sein Pessimismus hatte ihn im Griff
Allerdings hatte Henri, der Menschenfreund (und Katzenfreund), sich nie in Blauäugigkeit verloren. Er wusste sehr genau, von wieviel Transfeindlichkeit wir umgeben sind und welche konkreten Gefahren davon ausgingen. In unseren leider allzu seltenen persönlichen Unterhaltungen, aber dann vor allem in seinen Mails, die mich als Kommentare zu meinen Veröffentlichungen regelmäßig erreichten, begegnete mir nicht nur ein nachdenklicher, sondern von Fall zu Fall auch ausgesprochen pessimistischer Freund. Ein ewiges Ärgernis war ihm all das Misstrauen gegen trans und all die Missbrauchsängste, die beim Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz so offensichtlich mitgeschrieben haben.
Als ich hier meinen Kommentar “Warten auf das Selbstbestimmungsgesetz”veröffentlichte, lag schon am nächsten Tag seine Antwort in meinem Mail-Postfach. Der Pessimismus hatte ihn dabei fest im Griff und ebenso die Wut. Nein, er würde auf nichts mehr warten, schrieb Henri, obschon er am Anfang der Mail einen anderen Ton anschlug: “starke und notwendige Worte zur Mahnung und Erinnerung. Danke dafür.” Und am Ende stand: “Tut mir leid, dass die Mail jetzt so lang geworden ist.” Mittlerweile kannte ich ja seinen tiefsitzenden Frust, über das, was in unserem Land alles schiefläuft. Ich wollte darauf antworten und ihn versöhnlicher stimmen, wie auch in anderen Fällen schon – und habe es dann doch vergessen.
Sorry Henri, dass ich Dir eine Antwort schuldig geblieben bin. Dankbar bin ich, Dich kennengelernt zu haben, und traurig bin ich, dass wir uns jetzt nie wieder über den Weg laufen werden. Und bestürzt bin ich, dass Dein Leben viel zu früh enden musste.